Tobelbrücke

Zwei Ahornbäume, die Guldenen, die Tobelbrücke – wie argumentiert der Küsnachter Gemeinderat in Sachen Naturschutz

Die Geschichte einer Behauptung, die zum öffentlichen Interesse erklärt wird.

Man konnte es sogar im Tages-Anzeiger lesen: Der Küsnachter Gemeinderat stellte im August 2017 zwei Ahornbäume unter Schutz. Damit sollte deren Fällung im Garten des Eigentümers verhindert werden. Denn eine Immobilienfirma verlangte die Entfernung der Bäume – aus Gründen besserer Seesicht für das eigene Grundstück. Zehn Monate später, im Juni 2018, strahlten zwei Gemeinderatsmitglieder auf einem Foto im „Küsnachter“ und zeigten ihre Begeisterung für das Schutzgebiet Guldenen. Das Naturnetz Pfannenstil hatte für die Feier seines 20-jährigen Bestehens diesen „Hotspot der Natur“ gewählt und auch Regierungsrat Kägi kam. Er betonte in seiner Ansprache, wie wichtig es sei, geschützte Räume zu erhalten und aufzuwerten. Denn der Druck auf die Natur durch Häuser- und Strassenbau nehme einfach stetig zu. Zur gleichen Zeit ebnete der Gemeinderat den Weg für den Bau einer Brücke über das Küsnachter Tobel, rund 4 km vom Quellgebiet Guldenen entfernt. Diesen Eingriff in die Natur beurteilt er als „minimal“ und deshalb sei die 180 m lange Brücke zu bauen. Aber warum eigentlich? Eine schweizweit bekannte Stiftung sah sich genötigt, Einsprache gegen das Bauprojekt zu erheben.

Nun haben sich im Juni 2019 das Baurekursgericht, der Gemeinderat und die rekursberechtigte Stiftung Landschaftschutz für einen Augenschein im Tobel getroffen. Vor Ort ging es um die Abwägung der beiden Güter Natur und Freizeitbeschäftigung, die sich bekanntlich fast überall konflikthaft begegnen. Je stärker die Natur zurückgedrängt wird, umso mehr wünschen wir uns Naturerlebnisse. Und umso prekärer wird die Lage – weltweit. Man muss gar nicht mit dem Klimawandel kommen, es reicht, wenn ältere KüsnachterInnen in Frühsommertagen am einstigen Standort von Frauenschüeli vorbeikommen, im Bach nach einer Köcherlarve suchen oder gerne wieder einmal einen Grasfrosch gesehen hätten. Was die genannten drei Parteien im Tobel gesehen und was sie dazu gesagt haben, wurde in groben Zügen protokollarisch festgehalten.

Der Gemeinderat verfasste im Anschluss an die Begehung eine Stellungnahme zuhanden des Baurekursgerichts. Darin macht er nochmals geltend, die Brücke sei für die Küsnachter Bevölkerung von „erheblichem Nutzen“. Als Gründe gibt er an, dass mit einer rollstuhlgängigen Verbindung über das Tobel die betagten BewohnerInnen von Tägerhalde und Bethesda „bequem ihr altes Wohnquartier Allmend“ erreichen könnten. (Die Strecke für die kürzeste Variante wäre rund 1 km auf zum Teil gekiesten Wegen.) Im Gegenzug würden die BewohnerInnen der Allmend einfacher zum Schübelweiher und Rumensee sowie den Zumiker Sportanlagen gelangen. Diese Vorteile gewichtet die Küsnachter Exekutive höher als die Eingriffe in die Natur und das Landschaftsbild, die durch den Bau entstehen. Gleichzeitig betont der Gemeinderat, die Brücke sei jedoch nicht Bestandteil eines Tourismuskonzeptes und solle in keiner Weise zum „Besuchermagnet“ werden, sondern einzig der Küsnachter Bevölkerung dienen. Letzteres stehe im Einklang mit dem Ziel „attraktive Fuss- und Velowege zu fördern“, wie es in den Bestimmungen für sogenannte Landschaftsförderungsgebiete stehe. Abschliessend hält der Gemeinderat fest: die Brücke ist „überdies kostenlos“.

 

Nun, letzterer Punkt trifft eindeutig nicht zu, denn die gespendete Brücke wird selbstverständlich Unterhalts- und Folgekosten zeitigen. Diese Kosten kann Küsnacht problemlos wegstecken, soviel ist klar, doch die Bemerkung verweist ungewollt auf den wunden Punkt des ganzen Projektes. Stünden nämlich nicht 1 Million geschenkte Franken zur Verfügung, die ganze Diskussion über eine Tobelbrücke wäre gar nie entstanden und es müssten auch keine zweifelhaften Begründungen ins Spiel gebracht werden. Doch irgend jemand erinnerte sich, als das grosse und vorerst heimliche Geschenk eines Küsnachters zum Gedenken an seine Frau aufs Tapet kam: Schon vor 30 oder mehr Jahren habe doch einer gesagt, es wäre schön, eine Hängebrücke über das Küsnachter Tobel zu haben. (Ältere KüsnachterInnen wissen, es drohte die Höhenstrasse als Entlastung der Seestrasse genau am Ort der heute geplante Brücke.)

Diese und ähnliche Behauptungen wurden vom Gemeinderat zum schon lange gehegten Wunsch vieler KüsnachterInnen ausgebaut und schliesslich zu einem öffentlichen Bedürfnis erklärt: die Quartiere Itschnach und Allmend seien getrennt und würden ohne Brücke weiter unter dem Missstand ihrer topographischen Spaltung durch den Küsnachter Bach leiden. Mit dieser Ansicht müsste nicht nur jedes Tobel, sondern auch jeder See und jeder Berg viel Ungemach verbreiten und es wäre zu überlegen, ob nicht mit dem Material des Pfannenstiels der Zürichsee aufzufüllen sei, damit wir den abgetrennten RüschlikerInnen näher rücken. Spass beiseite und nochmals zurück zu den Argumenten, was die Brücke alles ermöglichen oder erleichtern würde: Gehen wir denn ins Tobel, in die Natur, um möglichst bequem unterwegs und möglichst rasch damit fertig zu sein? Man will doch eher darin verweilen oder etwas für die körperliche Gesundheit tun. Dazu verläuft ein wunderbar abwechslungsreicher Weg vom Allmendboden zum Schübelweiher, genau in der Linie der geplanten Brücke.

Das Baurekursgericht war für die dürftige Argumentation des Gemeinderates empfänglich und stützt sie (Entscheid vom 13. 8. 2019). Während des Augenscheins am heissen Sommertag waren offenbar etliche Schulklassen unterwegs. Die Vertreter der juristischen Instanz erkannten dabei, dass das Tobel von „sehr rege benützten Wanderwegverbindungen durchschnitten“ ist und kamen zum Schluss, die Brücke sei eine sinnvolle Ergänzung zum bestehenden Wegnetz. Etwas weiter im Protokoll heisst es dann: „für die täglichen Besorgungen“ sei der bestehende Wanderweg „keine valable Alternative“ zur geplanten Brücke. Alles klar?

Wo es zuerst um die Quantität, also eine Erweiterung des Wegnetzes geht (welches an heissen Sommertagen anscheinend überlastet ist), wird nachher gewissermassen die Qualität der bestehenden Wege kritisiert, die zum Einkaufen nicht taugen. Beides ist an den Haaren herbeizogen. Bestimmt muss das Tobel nicht für Spitzenbelastungen hergerichtet werden und noch viel unsinniger wäre es, die Tobelwege als Einkaufsrouten zu verstehen. Oder kennt jemand eine Frau oder einen Mann oder mehrere Leute, die ihre täglichen Besorgungen im oder via Tobel machen? Hier gibt sich das Gericht eine Blösse, indem es den zu beurteilenden Sachverhalt unzulässig ausweitet oder schlicht missverständliche Darstellungen des Gemeinderates übernommen hat. Es geht davon aus und schreibt dies auch, dass eine „alltagstaugliche Umgehung des Tobels“ erforderlich sei, damit „die zeitaufwändige Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel“ (um vom einen ins andere Quartier zu gelangen) wegfalle, insbesondere „für ältere und mobilitätseingeschränkte Personen“.

Es ist zu fragen, wie viele betagte Personen in der Tägerhalden oder im Bethesda sich wünschen, hie und da ins früher bewohnte Quartier Allmend zu rollen oder zu spazieren. Eine? Zwei? (Unklar ist übrigens noch, ob die Brücke überhaupt für Rollstühle geeignet sein wird, wenn 45 Meter über dem Bachbett zwei sich kreuzende aufeinandertreffen.) Tägliche Besorgungen machen aber weder ItschnacherInnen noch AllmendlerInnen über das Tobel. Und den Panaromaweg von Zürich nach Feldbach nehmen keine „mobilitätseingeschränkten Personen“ unter die Füsse. Kurz, die Brücke ist ein schönes Spielzeug, das beinahe kostenlos in Griffnähe liegt. Aber bestimmt keine Notwendigkeit. Den einen gefällt es, andere wollen Hängebrücken lieber dort überschreiten, wo sie nötig sind und gönnen dem Küsnachter Tobel möglichst lange Ruhezeiten.

Dass sich alle Gemeinderatsmitglieder für eine Brücke über das Tobel begeistern können, ist legitim, damit stehen sie nicht allein. Dass aber persönliche Wunschvorstellungen zu einem öffentlichen Interesse umgedeutet wurden, war eine Anmassung und Ausnützung der politischen Machtposition. Die gemeinderätliche Argumentation pro Brücke steht in diesem Fall am Übergang zu Fake News. Zwar wurde damit an der Gemeindeversammlung vom Herbst 2018 eine Mehrheit für die Brücke gewonnen und das Siegel der Demokratie auf das Vorhaben gedrückt. Ob jedoch nach dem Ableben des Brückenspenders und nach der gründlichen Betrachtung der Sachlage heute eine Mehrheit der Bevölkerung sich dieses Projekt noch wünscht, darf bezweifelt werden. Leider muss jetzt die Geschichte von Gerichten und somit über juristische anstatt sachliche Argumente entschieden werden. Die nächste Runde steht an, denn die Stiftung Landschaftsschutz konnte den Entscheid des Baurekursgerichts nicht nachvollziehen.

J.W.

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