Landwirtschaft im Wirtschafsltand

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Landwirtschaft im Wirtschaftsland

Landwirtschaft ist nicht ein Kernthema der Küsnachter Politik. Und über Corona wurde eher schon zuviel als zuwenig geschrieben. Gerade deshalb ist es sinnvoll, einige schlecht sichtbare Zusammenhänge aufzuzeigen. Corona lehrte uns rasch, dass Pflegepersonal viel „systemrelevanter“ ist, als wir es ihm bisher per Anerkennung durch guten Lohn zugestehen wollten. Die fragile Abstützung unseres Wohlstands auf (verhältnismässig) schlecht bezahlte Arbeit wurde auch in anderen Berufen eindrücklich spürbar, nicht zuletzt in jenen der Gastronomie. Doch bevor überhaupt etwas oder jemand „systemrelevant“, also unverzichtbar für unsere Gesellschaft werden kann, braucht es das Vorhandensein von Nahrungsmitteln. Die Dimension des Hungers blieb jedoch selbst in der schwierigen Corona-Zeit eine ferne Erzählung. Sie hat nur dumme Hamsterkäufe ausgelöst, keinerlei Not oder Unterernährung.

An Kriegszeiten zu erinnern soll hier nicht als Angstszenario dienen. Aber die Frage nach der in der Bundesverfassung verankerten Selbstversorgung ist legitim. Wir hüllen uns damit nämlich in eine gut gepflegte Illusion. Im Durchschnitt der verschiedenen Lebensmittelarten reden wir von rund 60% Versorgung mit inländisch produzierten Nahrungsmitteln. Diese 60 Prozent an Kalorien für unsere persönliche Ernährung sind jedoch erkauft durch den Einsatz von nichterneuerbarer Energie, vornehmlich Erdöl für Treibstoff und Düngung. Unsere Landwirtschaft hat es verlernt, nur aus Sonnenlicht (und dank Fotosynthese) Nahrungsmittel zu gewinnen. Stattdessen betreibt sie ein energiemässiges Defizitgeschäft, denn mit jeder Nahrungskalorie im Rüebli oder Brotstück essen wir auch eine oder sogar zwei Erdölkalorien mit. Effektive Selbstversorgung somit null Prozent oder: Zero-Landwirtschaft. Die Bauern trifft keine direkte Schuld, es ist unser Wirtschaftssystem, das auch einen Bauernbetrieb nur als Firma oder Geschäft sehen kann, welches jährlich wachsen und Profit abwerfen muss. Doch Rüebli können nicht jedes Jahr grösser werden. Täglich mehr Brot essen geht auch nicht.

Nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung – die Arbeit mit dem Boden, den Pflanzen, den Tieren – ist biologischen und ökologischen Gesetzen unterworfen. Ökonomische Überlegungen haben in der eigentlichen bäuerlichen Arbeit nichts verloren, kein Apfel und kein Weizenkorn und auch kein Grashalm hat per se einen Preis – eine Tatsache, die erst in Notzeiten erkannt wird. Landwirte müssten sich vollumfänglich der Bodenpflege widmen können, genau wie das Gesundheitspersonal den Patienten. Sie dürften nicht opportunistisch auf irgend welche Märkte schielen müssen, um kurzfristig eine Straussenfarm aufzuziehen, weil die Kühe nicht mehr rentieren. Sie müssen unbeeinflusst von Margen und Preisbildungen und angeblichen Konsumentenwünschen konstant gute Bodenarbeit verrichten. Die ihnen heute auferzwungene Marktorientierung hat keine Auge für biologische Gegebenheiten. Die Artenvielfalt nimmt weiterhin ab, unsere Landwirtschaft ist in keiner Weise nachhaltig unterwegs.

Die vegane Ideologie ist nicht die Lösung, sie schüttet das Rind mit der Gülle aus. Die bäuerlichen Haustiere sind wunderbare Rauhfutterverzehrerinnen und treue Kulturbegleiter, die mit ihren Erzeugnissen, wozu auch der Mist gehört, zur nachhaltigen Boden- und Landschaftspflege beitragen. Weniger Fleisch essen: Ja! Weniger Dünger: Ja! Weniger Pestizide: Ja! Aber das ist bei Weitem nicht genug. Wir müssen die Landwirtschaft wieder anders verstehen lernen. Ein Kalb ist kein „Produkt“, der fruchtbare Erdboden keine „Ressource“, der Bauer kein „Dienstleister“ für wechselnde Wünsche der Konsumierenden. Auch die ständige Rede von der teuren Landwirtschaft ist ein hartnäckiges Gerücht: Nirgends kann man sich, gemessen am verfügbaren Haushalteinkommen, billiger ernähren als in der Schweiz.

RotGrünPlus bleibt, neben den lokalpolitischen „Tagesgeschäften“, an diesem grossen Thema dran. Die Landwirtschaft, verstanden als Erzeugerin von Nahrungsmitteln und nicht als Wirtschaftszweig, ist so wichtig wie das heute viel populärere Klima, denn beide sind lebensnotwendig im wahren Wortsinn.

Jakob Weiss

30. April 2020

 

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