Demokratie ist hoffentlich wirksam, aber sicher nicht „effizient“
Im ‚Küsnachter’ vom 11. Februar 2021 schreibt der Gemeinderat unter dem Titel „Abspecken“ in eigener Sache: „Als kleineres Gremium könnte sich der Gemeinderat gezielter auf seine politischen und strategischen Führungsfunktionen konzentrieren. Da ausserdem einzelnen Meinungen in einem kleineren Gremium mehr Gewicht zukommt, würde die Position der einzelnen Mitglieder gestärkt. Dies würde in einer Zeit, in der es zunehmend schwierig ist, für anspruchsvolle Milizämter Mitglieder zu finden, auch die Attraktivität des Amtes steigern.“
Schauen wir die Voraussetzungen an, auf denen diese Begründung zur Verkleinerung des Gemeinderates von 9 auf 7 Mitglieder basiert:
a) Wenige können gezielter vorgehen als viele. Diese Sicht mag sich am Sprichwort orientieren, dass zu viele Köche den Brei verderben. Die ultimative Konsequenz daraus ist allerdings, gewissen Gastrotrends ganz entsprechend: ein Koch – mit möglichst vielen Sternen – kann es am besten.
b) Eine Meinung hat mehr Gewicht, wenn sie in einem kleinen Gremium geäussert wird. Diese Behauptung widerspricht dem gesunden Menschenverstand, der davon ausgeht, dass eine Meinung dann Gewicht hat, wenn sie fundiert und nachvollziehbar geäussert wird, unabhängig von der Anzahl Zuhörender. Allerdings lehrt uns die gängige Politik (nicht nur in den USA der letzten vier Jahre) gerade eine andere Erfahrung: Meinungen können noch so abstrus sein, sie finden immer einen Kreis von AnhängerInnen, der sich dann meist mit Erfolg gegen andere Meinungen abschottet. Für Küsnacht ist zu wünschen, dass möglichst viele Meinungen zugelassen und richtig gewichtet werden und niemals unvergorene Meinungen in einer Blase immunisiert bleiben.
c) Im Text kommt zum Ausdruck, dass es unterschiedlich anspruchsvolle Milizämter gibt und es schwierig ist, geeignete Personen dafür zu finden. Die Vermutung liegt nahe, dass hier Ansprüche und Prestige verwechselt werden. Gemeinderat oder Gemeinderätin zu sein gilt als prestigereicher als nur Kommissions- oder auch Schulpflegemitglied zu sein. Aber ob die von der Kommission oder Behörde gestellten Ansprüche, d.h. die nötigen Anforderungen für die Amtsausübung erfüllt werden, hängt nicht vom Prestige, sondern von den Qualifikationen der gewählten Personen ab. Und diese Personen werden parteipolitisch den Positionen zugeordnet, nicht per Eignungsprüfung. Nähme man die heutige Zusammensetzung des Gemeinderates zur Anschauung, wären offenbar nur in den Reihen der drei vertretenen Parteien geeignete Mitglieder zu finden. Bewiesen durch die Absenz aller anderen.
d) Bleibt noch das Wort „Attraktivität“ im zitierten Text. Besoldungsmässig sind die meisten Behördenämter in Küsnacht bereits sehr attraktiv, wer das anders sieht, dürfte nicht mehr von Milizsystem reden. Welche Attraktivität ist also gemeint? In einer demokratisch verfassten Gemeinde kann es sich eigentlich nur um eine persönliche, eine aus dem politischen Inhalt herausgeborene Attraktivität handeln, die Wahlberechtigte von einer Kandidatur abhält oder sie anzieht: also um das Gefühl, aktiv mitbestimmen zu können, in der Entscheidungsgruppe anerkannt zu werden (auch als AndersmeindendeR), etwas Sinnvolles bewirken zu können.
Allerdings: Demokratie ist keine Fabrik. Die von Organisationsentwicklern gelobte Effizienz ist kein Kriterium für Föderalismus oder jede Art von breit abgestützter Meinungsbildung. Viel mehr sind in der politischen Arbeit Geduld, Verhandlungsgeschick, Empathie für andere als die eigene Lebensweise und weitere „soft skills“ gefragt. Dieser entscheidende Unterschied zwischen einer Firma und einem demokratischen Gebilde wie es unsere Gemeinde darstellt, wird häufig zu wenig ernst genommen. Steile Hierarchien mögen in der Wirtschaft taugen, das Dorfleben – gerade auch in einer grossen und wohlhabenden Agglomerationsgemeinde – braucht in allen Bereichen und auf allen Ebenen die Mitbestimmung möglichst vieler und unterschiedlicher Menschen. Damit es auch Minderheiten wohl sein kann. Kurz, wie wäre es, mit mehr als zwei Frauen im Gemeinderat? Mit einem Mitglied aus einer Gruppierung der Jungen? Vielleicht auch mit einer Stimme ü70? Mit einem vielfältig zusammengesetzten Rat, der sich nicht nur „gezielter auf seine politischen und strategischen Führungsfunktionen konzentriert“, sondern sich ausserhalb der Ressortarbeit auch wirklich be-rät und kreativ für das Gemeinwohl einsetzt.
Darum weiterhin unbedingt 9 statt 7. Nach 7 kommt nämlich 5. Beides schöne Zahlen, aber keine attraktive Perspektive für alle KüsnachterInnen, die sich künftig in die Dorfpolitik einbringen möchten.
Für die Koordinationsstelle: Jakob Weiss